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Chaos Tage in Thüringen

Hallo Björn. Schön, dass wir uns kennengelernt haben.

Ja, war ein intensiver Abend.

Du lebst und arbeitest als Schauspieler in Berlin, bist aber im Landesvorstand der Linken (aber nicht im Landtag) in Thüringen. Wie hast du den 5. Februar miterlebt, den man getrost als Beginn der Chaos Tage von Thüringen bezeichnen kann?

Ich selbst war im Skiurlaub in Polen, denn ich war mir ziemlich sicher, dass da nichts Großartiges passieren wird. Also hab ich mich an diesem Tag auf die Piste vorbereitet und stand nur in Kurznachrichtenverkehr mit dem Plenarsaal. Für mich war relativ klar, dass es in den ersten beiden Wahlgängen nicht reichen würde, obwohl auch da schon 2 CDU Abgeordnete für Bodo gestimmt hatten. Also hab ich es eher halbherzig über den Liveticker verfolgt. Punkt 13:29, also wenige Sekunden nach der Wahlentscheidung, habe ich dann folgende Nachricht erhalten:

„Soeben ist die Entscheidung im 3. Wahlgang gefallen: Mit 45 Stimmen wurde Thomas Kemmerich zum MP gewählt. Bodo erhielt nur 44...“
Ich hab das für einen Scherz gehalten und geschrieben: „Is klar. ;) Glückwunsch an Bodo", und bekam dann diese Antwort: „Kein Scherz!“

In dem Moment ist mir die Kinnlade runtergeklappt und an Skifahren war nicht mehr zu denken. Im Sekundentakt trafen Nachrichten ein. Als dann feststand, dass Kemmerich auch noch die Wahl angenommen hat, hab ich den Rest des Tages nur noch am Telefon verbracht. Ich bedanke mich an dieser Stelle bei der EU für den Wegfall der Auslands- und Roaminggebühren.
In Thüringen selber sind dann ja an dem Abend noch Tausende auf die Straße gegangen, um klar zu machen, dass mit Faschisten kein Staat gemacht wird. Der Druck der Straße hat ja dann auch recht schnell gewirkt.

Die ersten Reaktionen, speziell von Christian Lindner, aber auch von vielen CDU Politikern, waren ja noch Glückwünsche an Kemmerich von der FDP, der mit Stimmen der AFD und CDU zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt wurde, mit Kommentaren wie „das ist halt Demokratie“! Aber es ist halt nicht normal, dass man mit ganz knapp über 5% zum MP wird. Es hat dann immerhin knapp 4 Stunden gedauert, bis sich auch AKK für Neuwahlen in Thüringen ausgesprochen hat. Was ist dir in dieser Zeit durch den Kopf gegangen?

An dieser Stelle wird dann oft die Weimarer Republik und vor Allem das Thüringer Modell mit der Baum-Frick-Regierung genannt. Diese Parallelen kann man sicher sehen und es ist nie verkehrt, in der Vergangenheit nach Fehlern zu suchen, die es zu vermeiden gilt. Aber in diesem Moment sind mir die vielen Millionen Menschen in Deutschland durch den Kopf gegangen, für die das nicht nur Kopfschütteln ist, sondern reale Bedrohung. Ich bin in Thüringen aufgewachsen und für uns waren Neonazis, Faschisten und Rassisten immer eine reale Bedrohung. Ich als linker Mensch mit buntem Aussehen wurde gejagt und bedroht in meiner Jugend. Freunde mit einem anderen Hautteint wurden verprügelt und misshandelt. Menschen sind zu Tode getreten und geschlagen, von dem aus Thüringen stammenden NSU erschossen und von Polizisten in ihren Zellen angezündet worden. Bisher konnte man immer sagen, dass diese Menschen sich außerhalb der gesellschaftlichen Norm bewegen. Wenn nun aber mit den geistigen Brandstiftern dieser Taten, und die AfD hat verurteilte Rechtsextreme in ihren Reihen, Staat gemacht wird, wie sollen wir den ganzen Menschen, die geächtet werden aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Religion, dann noch in die Augen schauen?

Du hast bestimmt auch die Nachricht am 5.2. vernommen, dass Friedrich Merz seinen Blackrock Job aufgibt? Was hast du dir da gedacht?

Ich könnte an dieser Stelle sagen, wie sehr es mich ankotzt, dass Menschen, die sich nur selbst am Nächsten sind, Menschen, die mit dem Tod und dem Leid anderer Milliarden verdienen, sich immer wieder als Saubermänner hinstellen. Leider hat es in mir eine Art von Resignation gegeben. Keine Resignation die mir sagt, ich solle aufhören für eine bessere Welt zu kämpfen, sondern eine Resignation, mich mit diesen Menschen zu beschäftigen. Meine Zeit ist mir zu Schade dafür. Ich nehme es zur Kenntnis und intensivere meine Arbeit.

Ich mag dem Begriff von der „Staatspolitischen Verantwortung“ nicht, aber wenn er einmal zugetroffen hat, dann bei dem Vorschlag von Bodo Ramelow, Christine Lieberknecht zur Übergangsministerpräsidentin zu wählen. Wie kam es dazu und warum wurde er abgelehnt?

Wenn wir ehrlich sind, war es wohl dieser Vorschlag, der uns nach Jahren mal wieder gezeigt hat, was für eine Kunst Politik sein kann, wenn man weiß mit ihr umzugehen. Fakt ist, die CDU rennt wie ein kopfloses Huhn durch Thüringen und hat keine Ahnung, was sie machen soll. Mohring liegt als abgeschlagener Kopf daneben und krakelt nur noch ein Kikeriki nach dem anderen. Bodo hat die Situation erkannt und der CDU einen Weg gezeigt, wie sie sich neu ordnen kann. Lieberknecht ist eine integrierende Frau, die sicher dafür gesorgt hätte, dass sich alle etwas sammeln und es einen Neustart hätte geben können. Aber die Thüringer-CDU ist, in diesem Bild weiter gesprochen, nicht nur hirntot, sondern auch festgefahren in antrainierten Reflexen. Wie das kopflose Huhn, was immer noch Nahrung picken will. Abgelehnt wurde es sicher auch nicht nur aus dem Antikommunismus-Reflex heraus, sondern in der CDU muss man auch viel Eigenkapital in den Wahlkampf stecken. Nehmen wir also an, es gibt zügige Neuwahlen und über die Hälfte der Abgeordneten fliegen raus, wer tilgt denn dann die Kosten für zwei Wahlkämpfe? An dieser Stelle schlägt der Kapitalismus eiskalt zu.

Gab es in der Zeit vom  5.2., also der Wahl von Kemmerich mit den Stimmen der AFD, bis zum 17.2., als die Linke die ehemalige Ministerpräsidentin Lieberknecht vorgeschlagen hat, konstruktive Lösungsvorschläge der CDU oder FDP?

Nicht aus meiner Perspektive.

Nachdem die CDU Thüringen den Vorschlag mit Lieberknecht bis zu Neuwahlen in 70 Tagen abgelehnt hat und (wie ich mir gut vorstellen kann in schwierigen Verhandlungen) eine Wahl von Bodo Ramelow in Aussicht stand, gab es ja erneut ein Veto von der Bundespartei, allen voran von Paul Ziemiak. Was denkst du dazu?

Ich denke, dass diese permanenten Rote Socken-Reflexe der CDU sicher auch in ihrer Geschichte begründet sind. Im Kalten Krieg waren sie es ja immer, die sich als Bollwerk gegen den Kommunismus verstanden haben. Die Propaganda dieser Jahre hängt noch tief in den Knochen dieser West-Partei. Im Osten hingegen war die CDU staatstragend. Sie hat alle Beschlüsse des Zentralkommitees mitgetragen, von der einheitlichen Krankenkasse bis zum Schießbefehl. Viele ehemalige StaSi Leute haben nach der Wende in der CDU Karriere gemacht. Aber auch an dieser Stelle geht es mir nicht um die Vergangenheit. Mich schmerzt, dass die CDU nicht begreift, dass es einen grundlegenden Wandel innerhalb meiner Partei gab. Hätte es den nicht gegeben, wäre ich nie und nimmer in ihr Mitglied. Ich sehe mich als demokratischen Humanisten. Und genau das demokratische Grundstreben spricht uns diese Partei ab. Um ehrlich zu sein, habe ich gar keinen Bock mehr, der CDU hinterher zu rennen und sie zu bitten, uns in den Reigen der demokratischen Parteien aufzunehmen. Denn wenn das gemeinsame Agieren mit Faschisten für sie das demokratische Spektrum abbildet, dann machen wir doch lieber unseren eigenen demokratischen Kreis auf. Und da bin ich mir sicher, dass dann genug Leute hinter uns stehen.

Ich bedanke mich für das Interview und wünsche Dir, der Linken in Thüringen und ganz Thüringen eine hoffentlich bald gute Zeit der Vernunft und Zuversicht.

Vielen Dank auch an dich und bis bald.



Zu Björn:

Björn Harras lebt und arbeitet als Schauspieler in Berlin. Neben vielen Fernsehauftritten ist er unter anderm wöchentlich im Theater als Ensemblemitglied von „Die Gorillas“ in Kreuzberg zu sehen.
Seine Leidenschaft, linke Politik, verfolgt er seit nunmehr zwanzig Jahren und ein Ende scheint erst einmal nicht Sicht.