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DR. MOTTE - INTERVIEW

SA 13.07.2019 // Suicide Circus


Hallo DrMotte! 30 Jahre Loveparade – Happy Birthday! Wie fühlt sich das für Dich an?

Bestens, und danke sehr für die Glückwünsche. Ist schon krass, oder? 30 Jahre!!! #kopfschüttel

 

Du bist zum Jubiläum auch in die Kuratoren-Szene eingetaucht. Am 1.7. startet "Dr. Mottes Loveparade", eine temporäre Sonderausstellung bei nineties berlin in der Alten Münze, an der Du maßgeblich als Kurator mitgewirkt hast. Wie kam das denn?

Ich war bei der Eröffnung der nineties berlin-Ausstellung. Natürlich kam ich mit den Machern dort ins Gespräch: "Was ist das Wichtigste in den Nineties in Berlin gewesen? Die Loveparade!" Also haben wir beschlossen, eine Sonderausstellung zum 30. Jubiläum zu machen. Pünktlich zum Paraden-Geburtstag, ab dem 1. Juli 2019 

 

Nostalgie oder Aufbruchstimmung? Was erwartet uns?

Ich bin nicht so der Romantiker. Ich liebe Innovationen. Ich bin wie ein Delphin, der schnell gelangweilt ist. Deswegen brauche ich immer Nachschub von neuen Dingen. Gerade lese ich das Buch "Die Zerstörung der Sinnlichkeit" von Bernd Nitzschke, von 1974, das ich in einer Kiste auf der Straße fand. Dabei geht es um eine kritische Untersuchung der dialektischen Beziehung zwischen Normalität und Wahnsinn, Sexualität und Arbeit, Gesellschaft und Persönlichkeit, auf der Grundlage neuester, psychoanalytischer Erkenntnisse – naja, also damals neu. Trotzdem, sehr interessant. 

 

Ein Interview jagt gerade das nächste. Welche Frage ist für Dich die nervigste von allen?

Es gibt für mich keine nervigen Fragen, denn wer nicht fragt bleibt dumm. Ich sehe das eher als Herausforderung. 

 

Und was wurdest Du noch nie gefragt?

Genau das wurde noch nie gefragt :-) Gute Frage, ich denke mal drüber nach ... 

 

Wie ist es eigentlich so DrMotte zu sein, der Vater der Loveparade und irgendwie auch Vater einer ganzen Techno-Generation?

Wenn ich müde bin schlafe ich, wenn ich hungrig bin esse ich und wenn ich morgens wach werde, dann brauch ich erst mal einen Kaffee. Alles ganz normal, wie bei jedem anderen auch. Ich bin mir aber total bewusst, dass ich auch mächtig Glück hatte und das nicht selbstverständlich ist. Es ist auch heute immer noch viel und teilweise harte Arbeit, denn von Glück alleine bleibt man keine knapp 35 Jahre als DJ erfolgreich. Auch nicht mit der Loveparade-History in petto. Ich bin sehr froh mit Ellen und Claudi ein so gutes Team an meiner Seite zu haben, das mich unterstützt. Für all das Gute, was mir in diesem Leben widerfahren ist, danke ich dem Universum jeden Tag. :-) 

 

Was ist der Unterschied zwischen den Loveparade-Ravern von damals und den Ravern auf heutigen Demonstrationen?

Ich sehe da zwei Dinge. Zum einen Floats und bunte Leute, die zu elektronischer Musik tanzen und zum anderen sehe ich Menschen, die gegen was demonstrieren. Wir haben in den 1990ern nicht so viel über uns und unsere Welt nachdenken müssen, weil die Situation, in der wir lebten, uns nicht so viel reglementiert hat. Das ist heute anders. Deswegen ist der Kampf um den Erhalt der Kultur heute wichtiger. Siehe Fusion Festival und Gentrifizierung in Berlin.

 

Gefühlt ist die Berliner Clubkultur immer bedroht und doch nicht kleinzukriegen. Also doch eigentlich alles Friede, Freude, Eierkuchen, oder?

Aktuell hatten wir eine Bedrohung von 1.000 Musikern im Rockhaus. Der neue Inhaber wollte einfach die Miete für Übungsräume verdoppeln und alle Musiker bis Ende Juni raus werfen. Das ist zum Glück abgewendet. Das Fusion Festival sieht sich einem Polizei-Großeinsatz gegenüber, um die neuen Sicherheitsauflagen auf dem Gelände durchzusetzen. Das Konzept kommt von einem rechten, verurteilten Schläger, der bei der Polizeischule Ausbilder ist und noch nie auf der Fusion war. Über 130.000 Unterschriften wurden schon gesammelt, um das Fusion Festival zu erhalten und sehr viele Initiativen zeigen sich solidarisch. WOW! 

 

Ist die Techno-Protestkultur überhaupt (noch) ernstzunehmen oder ist sie eher ein Profilierungs- und Marketing-Instrument geworden?

Behörden zwingen uns politisch aktiv zu werden. Wir haben eine friedliche Musikkultur entwickelt und plötzlich kommen Auflagen, die kaum umsetzbar sind und offensichtlich den Zweck haben, diese Kultur einzudämmen. Deshalb ist es uns sehr erst, mit der Verteidigung unserer Kultur. Und deshalb ist das nicht nur Protestkultur, sondern eine ernsthafte Kulturschutzkultur. 

 

Hat Techno überhaupt (noch) die Kraft politisch ernsthaft etwas zu bewegen?

Ist in einer politischen Gesellschaft irgendetwas nicht politisch? In einer Demokratie ist auch das Aussteigen aus der Politik politisch. Wenn wir uns zur elektronischen Musik zusammen mit anderen bewegen, macht das für die, die es tun, Sinn. Und weil wir zum Rhythmus der Musik tanzen und uns dabei näher kommen, werden wir Gemeinsamkeiten entdecken, das Trennende überwinden und damit das Miteinander stärken. Das ist doch politisch.

 

Wenn man die Menschen da draußen fragt, ob eine Loveparade heute noch Sinn machen würde, überhaupt noch zeitgemäß wäre, dann scheiden sich daran die Geister. Wie ist Deine Haltung dazu?

In Zeiten wie diesen, sollten die guten Kräfte auf unserem Planeten zusammenkommen und ein Zeichen setzen, für das Gute. Ich bin da ganz bei John Lennon: "Stell dir vor es gäbe keine Länder, dann müßte auch niemand dafür kämpfen." Ich bin weiterhin der Ansicht, wir sind die Familie der Menschen auf diesem, unseren Planeten. Wir sollten uns auch so verhalten und die volle Verantwortung für unser tun übernehmen. Die Liebe wieder stark machen. 

 

Du bist nach wie vor viel international gebucht, warst dieses Jahr schon auf China Tour, in Bosnien und Herzegowina, England u.v.m., kriegst also auch hautnah mit, wie es woanders auf der Welt aussieht. Wie beurteilst Du die Lage der Clubkultur in anderen Ländern?

Berlin ist ganz schön eng gepflastert mit Clubs und Kultureinrichtungen. Das gibt es so schnell in keiner anderen Stadt. Aber trotzdem schön zu sehen, wie viele Clubs und Festivals es international gibt, mit musikalisch hohem Niveau.

 

Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest Du Dir wünschen?

Ich wünschte mir, dass alle Wünsche in Erfüllung gehen und dass alle Menschen Brüder und Schwester und Enkel und Ekelinnen und Tanten und Tanter und Onkel und Onkelinnen… werden und das wir erkennen, dass wir alle eine große, friedlich tanzende Familie sind und alle ihre und die Freiheit der anderen wertschätzen und respektieren.

 

Und was wünscht Du Dir zum Geburtstag?

Ich wünsche mir Bestandsschutz für alle Clubs und Festivals in Deutschland. Und Anerkennung der elektronischen Musikkultur und ihrer Spielstätten als ganz normale, gleichgestellte Kultureinrichtungen.

 

Am einst traditionellen Loveparade-Wochenende, dem zweiten im Juli, hat seit einigen Jahren eine andere Veranstaltung Tradition: DrMotte's Birthday Celebration. Again: Happy Birthday! Worauf dürfen wir uns diesmal freuen?

Genau. Am 13. Juli im Suicide Circus Berlin, Start 23:59 Uhr. Wir freuen uns schon sehr darauf. Auch auf Saytek (Awesome Soundwave, UK) der diesmal der Live Act ist. Seinen Sound finde ich super! Neben Gabriel Le Mar und Mir wird draußen noch Eva Be (Poker Flat, Berlin) spielen, deren Sound ich ebenfalls feiere, und die Tanzreise eröffnen. Drinnen startet ab null Uhr André Gawlitza (Wurzelfestival, Berlin) und später spielt außerdem Sylvie Maziarz (Berlina für Techno, Berlin). Den Abschluss drinnen macht Alex Caruso (Tanz Dich Hai, Hamburg), mit dem ich schon tolle Partys und Festivals hatte und der mich auch schon einige male nach Hamburg eingeladen hat. Ein runder Abend, der wie immer mit meinem 6-stündigen Birthday-Set draußen zu Ende gehen wird.

 

Ey Doktor, schreibste mich auf die Gästeliste?

Sowieso. Wir stoßen dann auf meinen Geburtstag an und auf Deinen nachträglich, ok? Und für alle anderen: es werden außerdem noch ein paar Gästelistenplätze bei Facebook und Instagram verlost. Vorbei schauen, folgen und dann verpasst ihr das garantiert nicht ;-)

 

Loveparade 2020? 2021? …? Was sind die Zukunftspläne von DrMotte?

Schön wär's. Ich arbeite gerade mit Hochdruck an der Sonderausstellung und bin deshalb sehr darauf fokussiert. Wir tragen auch weiteres Material zusammen und vielleicht machen wir daraus auch eine Dauerausstellung. Wer weiß? Außerdem machen wir noch einen eigenen Truck auf dem CSD dieses Jahr, denn viele Themen, für die wir uns alle schon bei der Loveparade committed haben, sind auch Themen des Cristopher Street Day, wie z. B. love, peace, unity - AND RESPECT! 


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